«Wir freuen uns über jeden Dankesbrief, wenn ein Studium erfolgreich abgeschlossen wurde»

Karin Landolt sprach für uns mit der Geschäftsführerin der Vontobel-Stiftung, Marlies Heerdegen, über die unterschiedlichen Förderungen der Stiftung und der Umsetzung bei den Gesuchen. 

Die Vontobel-Stiftung erreichen rund 2000 Gesuche pro Jahr. Geschäftsführerin Marlies Heerdegen erklärt, wie die Stiftung diese Menge bewältigt, warum sie den Aufwand für die Einzelfall-Unterstützung nicht scheut, und wie sie mithilft, Lücken im Schweizer Sozial- und Bildungssystem zu schließen.

AlphaFoundation: Die Vontobel-Stiftung unterstützt Projekte, aber auch Einzelpersonen. Was steckt hinter diesem Konzept?

Marlies Heerdegen: In der Einzelfallhilfe können wir den Puls der Gesellschaft messen. Wir sehen anhand der Gesuche, welche Menschen besonders von Notlagen betroffen sind, zum Beispiel Menschen mit Migrationshintergrund, Flüchtlinge, Alleinerziehende etc. Diese Erkenntnisse können dazu führen, dass wir Projekte gezielter unterstützen, etwa in der Flüchtlingshilfe. Die Konzepte greifen also auch ineinander.

AlphaFoundation:Die Behandlung der Anträge von Einzelpersonen erachten viele Stiftungen als sehr aufwändig, sprich zeitintensiv. Die Betroffenen sind mit dem Förderprozess nicht vertraut. Warum lohnt sich diese Mühe dennoch?

Marlies Heerdegen: Dieses Vorgehen ist historisch gewachsen, und wir wollen daran festhalten. Auf diese Weise gelingt es uns auch, Lücken zu füllen, unbürokratisch und rasch einzuspringen, wo ein System versagt oder zu langsam ist.

AlphaFoundation: Wie meinen Sie das?

Marlies Heerdegen: Nehmen wir eine Person in prekären finanziellen Verhältnissen mit gesundheitlichen Problemen, die von der IV (Schweizer Invalidenversicherung) einen positiven Bescheid bekommt. Bei einem Rekurs seitens Pensionskasse beispielsweise kann es Monate dauern, bis Geld fließt. Die Arbeitslosenkasse stellt die Zahlungen nach dem Entscheid aber sofort ein. In solchen Fällen können wir überbrücken. Oder wir helfen mit Geld aus, während ein Student oder eine Studentin wegen bürokratischer Verzögerungen auf das Stipendium warten muss.

AlphaFoundation: Das heißt, Sie decken mit Ihrer Tätigkeit auch Systemfehler auf?

Marlies Heerdegen: Ja, aber es ist nicht unsere Aufgabe, dies an die große Glocke zu hängen. Wenn wir solche Lücken realisieren, weisen wir die betreffende Stelle darauf hin. 

AlphaFoundation: Die soziale Absicherung ist in erster Linie Aufgabe des Staates und nicht privater Einrichtungen.

Marlies Heerdegen: Letzteres passiert aber immer häufiger. So wurde von der SKOS (Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe) in einem Merkblatt empfohlen, die Sozialämter mögen sich im Falle von einmaliger Hilfeleistung vorgängig bei Stiftungen nach finanzieller Unterstützung für ihre Klientinnen und Klienten erkundigen, anstelle zuerst die eigene Leistungsmöglichkeit zu prüfen. Das erachte ich als falschen Weg. Erste Anlaufstelle für Menschen in Not ist das Sozialamt und nicht die Stiftung. Der Grundsatz der Subsidiarität von Stiftungen wurde hier umgekehrt. Aber als Stiftung mischen wir uns nicht in den politischen Diskurs ein.

AlphaFoundation: Sie kommunizieren das Vermögen und das Verteilvolumen der Vontobel-Stiftung nicht. Sie nennen aber den Anteil der Gesuche von Einzelpersonen und Projekten. Wie effizient können Sie die Fülle an Gesuchen bewältigen?

Marlies Heerdegen: Uns erreichen jährlich über 2000 Gesuche, rund dreiviertel davon betreffen Einzelpersonen, 500 sind Projekte. Uns gelingt es trotz kleinem Stellenetat von 190 Prozent, diese sehr effizient und kostengünstig zu behandeln, einerseits weil wir ein sehr engagiertes Team in der Geschäftsstelle haben und der Stiftungsrat mit seiner ehrenamtlichen Arbeit einen großen Beitrag leistet, andererseits dank einer hervorragenden Stiftungs-Software, die uns bei der Abwicklung viel Arbeit abnimmt und ganz konkret auf die Bedürfnisse unserer Stiftung ausgerichtet ist.

“In der Einzelfallhilfe können wir den Puls der Gesellschaft messen. Wir sehen anhand der Gesuche, welche Menschen besonders von Notlagen betroffen sind”

Marlies Heerdegen

AlphaFoundation: Wie überprüfen Sie, ob ihre Mittel richtig eingesetzt werden?

Marlies Heerdegen: Bei den Einzelfällen prüfen wir die Steuererklärung (im gegebenen Fall auch jene der Eltern), schauen uns die Kontoauszüge der vergangenen zwei Jahre an und stellen konkrete Fragen zur Ursache der finanziellen Not. Bei den Projekten müssen die Kriterien stimmen. So achten wir beispielsweise bei der medizinischen Forschung darauf, dass der Nachwuchs gefördert wird. In der Entwicklungshilfe, dass vor Ort mit lokalen Organisationen gearbeitet wird, und die zu unterstützenden Menschen durch das Projekt eine Perspektive für eine eigenständige Zukunft erhalten. Wir orientieren uns an den Zewo-Richtlinien und setzen voraus, dass die Betriebskosten nicht zu hoch sind. Und natürlich muss die Wirkung nachhaltig und sinnvoll sein.

AlphaFoundation: Wie messen Sie Ihren eigenen Erfolg nach Abschluss?

Marlies Heerdegen: Es freut uns natürlich, wenn wir von den Studierenden nach absolviertem Hochschulabschluss ein Dankesschreiben erhalten. Von den Projektträgern erwarten wir einen Abschlussbericht mit einem Resumé. Und wenn etwas nicht gut lief, wollen wir wissen warum. Den Erfolg von Forschungsprojekten, die wir unterstützen, messen wir an der Zahl der Publikationen in den wissenschaftlichen Journalen. Und diese Zahl ist erfreulich hoch.

AlphaFoundation: Früher haben die Stifterinnen und Stifter oft nach Bauchgefühl entschieden. Moderne Stiftungen setzen heute eigene Expertise ein. Wie macht dies die Vontobel-Stiftung? 

Marlies Heerdegen: In der Wahl der Einzelfallunterstützung werden alle gleich behandelt. So prüfen wir den Sinn der Unterstützung, oder ob sie dem oder der Betroffenen eine größere Chance auf dem Arbeitsmarkt eröffnet. Das Bauchgefühl spielt kaum eine Rolle. Was die Projekte betrifft, so haben wir im elfköpfigen Stiftungsrat ein ausgewiesenes Gremium von Expertinnen und Experten.

AlphaFoundation: Der Trend bei den Stiftungen geht in Richtung Projektförderung und langfristige Zusammenarbeit mit erfahrenen Partnern anstelle von Einzelförderung. War die Trennung von der Einzelfallhilfe nie eine Option für die Vontobel-Stiftung?

Marlies Heerdegen: Die Einzelfallunterstützung ist bei uns in der Satzung festgehalten. Doch auch wir haben überprüft, ob wir – wie andere Stiftungen das auch tun – einen namhaften Betrag beispielsweise an eine operative NPO wie beispielsweise Winterhilfe oder Caritas richten, die sich dann um Einzelfälle kümmern, während wir uns ausschließlich den Projekten widmen. Wir sind aber zum Schluss gekommen, dass ein Outsourcing die Betriebskosten nicht mindert, weshalb wir die Einzelfallunterstützung behalten. Wie erwähnt, können wir sehr effizient vorgehen dank unserer digitalen Plattform, die anderen vielleicht nicht zur Verfügung steht.

AlphaFoundation: Jede Stiftung sollte haushälterisch mit ihrem Vermögen umgehen. Gehen Sie mit mir einig? 

Marlies Heerdegen: Was heißt denn haushälterisch? Wenn Sie haushälterisch im Sinne von sparsam meinen, bin ich nicht einverstanden. Eine Stiftung sollte größtmögliche Wirkung entfalten. Es gibt beispielsweise Stiftungen, die sich nach einem bestimmten Zeitraum auflösen und bis dann das gesamte Vermögen verteilen. Das kann durchaus sinnvoll sein. Haushälterisch sein ist nicht Sinn und Zweck einer Stiftung. Wirkung für die Gesellschaft erzielen hingegen schon.  

AlphaFoundation: Viele Stiftungen transformieren sich in Richtung Partizipation. Sie wollen mit den Projektpartnern zusammenarbeiten, anstatt nur Geld zu spenden. Wie sieht die Zukunft der Vontobel-Stiftung aus?

Marlies Heerdegen: Wir haben soeben einen Strategieprozess angestoßen. Unser Ziel ist nicht die Partizipation, dafür haben wir zu wenig Personalressourcen. Wir fördern sehr breit, was zu vielen Gesuchen führt, und viele davon müssen wir wiederum ablehnen. Dies erzeugt sowohl bei uns als auch bei den Gesuchstellenden zu unnötigem Aufwand und Frust. Das wollen wir ändern, indem wir das Profil der Stiftung schärfen und in den einzelnen Förderbereichen gezieltere Kriterien anwenden.


Die Vontobel-Stiftung mit Sitz in Zürich wurde 1993 von Bankier Hans Vontobel gegründet. Gefördert werden Einzelpersonen in finanzieller Not oder zu Bildungszwecken, sowie Projekte in den Bereichen Soziales, Medizinische Forschung, Geschichte, Natur und Kultur. In den Genuss von Fördergeldern gekommen sind in den letzten Jahren unter anderem das LOOP Research Medical Center, das Fotomuseum Winterthur, das Kinderspital Zürich, die Dargebotene Hand 143, Pro Juventute und viel andere Organisationen. Über das Vermögen und das jährliches Vergabevolumen gibt die Stiftung keine Auskunft. www.vontobel-stiftung.ch

Hinterlassen Sie einen Kommentar