«Es ist Zeit zu handeln»
Gewichtige Stiftungen im deutschen Sprachraum haben sich zusammengeschlossen, um den Journalismus zu retten. Der ehemalige Investigativ-Journalist und Preisträger Martin Kotynek ist ihr Geschäftsführer und erklärt, welch entscheidende Rolle die Zusammenarbeit der Stiftungen spielt.
AlphaFoundation: Warum brauchen Medien eine Krücke namens «Media Forward Fund», den mehrere Stiftungen gerade ins Leben gerufen haben?
Martin Kotynek: Die Medienbranche steckt in einer massiven Transformationskrise. Das alte Print-Geschäftsmodell bricht vielerorts zusammen. Es braucht eine Vielzahl von neuen Geschäftsmodellen, die den Journalismus künftig tragfähig finanzieren. Dafür braucht es Investitionen in neue Lösungen und auch in riskante Projekte. Doch vielen Medienhäusern fehlt das Geld und die Zeit für Experimente. Darum braucht es jetzt viel mehr Geld von viel mehr Menschen, um den Journalismus zu stärken.
AlphaFoundation: Warum sollen Stiftungen ausgerechnet dem Journalismus hochhelfen?
Martin Kotynek: Der Diskurs in einer Gesellschaft sollte auf gesicherten Fakten beruhen. Momentan ist die dafür nötige Grundversorgung in Gefahr. Die Stiftungen, welche den Media Forward Fund gegründet haben, sind überzeugt, dass wir jetzt handeln müssen, weil der Journalismus für unsere Demokratien essentiell ist. Mit dabei sind daher nicht nur Stiftungen aus der Journalismusförderung. Ihnen ist – neben gemeinnützigen Überlegungen und ihrem eigentlichen Stiftungszweck – daran gelegen, dass der Qualitätsjournalismus funktioniert. Sie brauchen ein funktionierendes Mediensystem, um ihre Förderziele in anderen Bereichen wie Wissenschaft, Bildung oder Kultur zu erreichen. Darum beteiligen sich auch Stiftungen mit anderen Stiftungszwecken an der Entwicklung von neuen Geschäftsmodellen für den Journalismus. Gerade auch für den Wissenschaftsjournalismus, der es ermöglicht, dass die Gesellschaft über die Forschung informiert ist und darüber diskutieren kann.
«Vielen Stiftungen ist daran gelegen, dass der Qualitätsjournalismus funktioniert. Sie brauchen ein funktionierendes Mediensystem, um ihre Förderziele in anderen Bereichen wie Wissenschaft, Bildung oder Kultur zu erreichen.»
AlphaFoundation: Die Vision des Media Forward Fund ist laut Mitinitiantin Judith Schläpfer von der Volkart Stiftung, dass es ihn nicht mehr braucht, «weil sich ein gemeinwohlorientierter, faktenbasierter Qualitätsjournalismus irgendwann selbst finanzieren lässt». Sie stiften Geld, damit in absehbarer Zeit das Ei des Kolumbus gefunden wird?
Martin Kotynek: Es wird nicht die eine Lösung geben. Es braucht viele Lösungen. Wir brauchen einen Mix aus Finanzierungen.
AlphaFoundation: Aber solche, welche die Unterstützung der Stiftung dereinst überflüssig machen?
Martin Kotynek: Die Initiative des Funds ist eine Notmassnahme, denn es vergeht kaum ein Tag ohne Sparpakete und Hiobsbotschaften über geschlossene Lokalredaktionen. Die Medienvielfalt geht verloren. Der private Sektor – also die Stiftungen – geht jetzt in Vorleistung, schafft mit dem notwendigen Kapital und einer neuen Unterstützungsinfrastruktur die Basis, um einen finanzierbaren Journalismus zu ermöglichen. Die Infrastruktur soll so gestaltet werden, dass zwischen Geldgebern beziehungsweise Entscheidungsträgern einerseits, und den Redaktionen andererseits keine Abhängigkeit entsteht. Um tragfähige Lösungen zu etablieren, braucht es nun Kapital für Experimente und den Erfindergeist von Medienmacherinnen und Medienmachern.
AlphaFoundation: Der Streit darüber, ob der Staat den Journalismus subventionieren soll, ist in der Schweiz uralt, es zeichnet sich kein Konsens ab. Können also nur Stiftungen den Journalismus retten?
Martin Kotynek: In Österreich habe ich erlebt, was passiert, wenn der Staat einzelne Medien direkt über Förderungen oder indirekt über Regierungswerbung subventioniert – das sollte die Schweiz nicht kopieren. Der Staat, in der Schweiz Bund und Kantone, kann aber einen Beitrag leisten, wenn ein maximal staatsfernes Finanzierungsmodell zur Verfügung steht. Wenn also eine klare Trennung existiert zwischen Geldgebern und jenen, die über die Fördermittelvergabe entscheiden. Unter dieser Bedingung kann sich die öffentliche Hand an einer vielfältigen Medienlandschaft, am Qualitätsjournalismus und damit an der Förderung der Demokratie beteiligen, ohne die Unabhängigkeit des Journalismus zu gefährden.
«Bund und Kantone können einen Beitrag leisten, wenn ein maximal staatsfernes Finanzierungsmodell zur Verfügung steht. Unter dieser Bedingung kann sich die öffentliche Hand an einer vielfältigen Medienlandschaft beteiligen, ohne die Unabhängigkeit des Journalismus zu gefährden.»
AlphaFoundation: Ein wichtiger Faktor, um effektiv unterstützen zu können, ist die Zusammenarbeit der Stiftungen. Wie haben Sie dieses Commitment erreicht und wie funktioniert die Zusammenarbeit?
Martin Kotynek: In Gesprächen unter den Stiftungen kristallisierte sich die gemeinsame Sorge um die Demokratie heraus. Sie sehen sich in der Verantwortung zu handeln. Inzwischen sind zehn Stiftungen sowie der Impact Investor Karma Capital an Bord. Auch die grosse amerikanische MacArthur Foundation leistet einen Beitrag. Diese ist bereits in den USA mit gutem Beispiel vorangegangen und hat “Press Forward” mit einem Kapital von inzwischen mehr als einer halben Milliarde Dollar gegründet. Unser Fund verfügt nun zum Start über sechs Millionen Euro und soll weiterwachsen. Das Geld fliesst in einen gemeinsamen Kapital-Pool, um sicherzustellen, dass Stiftungen nicht einzelne Medien unterstützen müssen. Ein weiterer wichtiger Vorteil ist, dass der Fund über Medien- und Journalismusförderungs-Expertise verfügt, künftige Stiftungspartner also keine diesbezüglichen Kompetenzen aufbauen müssen. Dies alles ermöglicht eine sehr effiziente Förderung.
AlphaFoundation: Wie sieht der Förderprozess konkret aus?
Martin Kotynek: Die Stiftungen geben ihre Beiträge in den Pool und beauftragen den Fund mit der Abwicklung. Jährlich finden drei Ausschreibungen statt, ab 2025 eine zusätzliche Ausschreibung für den Bereich Wissenschaftsjournalismus. Die Anträge werden von einer Jury beurteilt.
AlphaFoundation: Wer sitzt in der Jury, die über Zusage oder Ablehnung entscheidet?
Martin Kotynek: Sie ist noch im Aufbau. Wir werden Vertreterinnen und Vertreter mit unterschiedlichen Kompetenzen einsetzen, wie etwa Erfahrungen in der Medienbranche, als Unternehmerin oder Gründer, und die sich mit Geschäftsmodellen auskennen.
AlphaFoundation: Eine Einkommensquelle im Journalismus ist der Platz für Werbung. Doch seit der Digitalisierung fliessen die Werbegelder zu wenigen grossen Techkonzernen. Wie soll dieses Problem gelöst werden?
Martin Kotynek: Dass mehr als die Hälfte des Werbevolumens heute an Tech-Plattformen in den USA fliessen, ist ein Problem, das unser Fund nicht anpacken kann. Dieses muss über staatliche Regulierung gelöst werden. Stiftungen können helfen, Geschäftsmodelle mit Proof of Concept zu etablieren. Es braucht einen Anschub von der Ideenphase ins Wachstum. Weil die Medien völlig unterkapitalisiert sind, kommen viele gute Ideen zurzeit nicht ans Ziel.
AlphaFoundation: Es gibt also bereits bahnbrechende Ideen, denen bloss noch das Investment fehlt?
Martin Kotynek: Davon gehe ich aus. Wir sind gerade gestartet und haben den ersten Call für eine Förderrunde live gestellt. Erste Interessenbekundungen von Medien aus Deutschland, Österreich und der Schweiz sind eingegangen. Es wird im ersten Call bis September die Möglichkeit geben, die konkreten Anträge einzusenden.
AlphaFoundation: Was sind die Kriterien für eine Unterstützung?
Martin Kotynek: Wir haben 24 Vergabekriterien in den fünf Bereichen Transformation, Nutzerzentrierung, Diversität, Unabhängigkeit und Qualität aufgestellt. Wir prüfen etwa, ob die Projekte transformativen Charakter haben und den Stellenwert der Medienlandschaft insgesamt stärken, inwiefern bestehende Abläufe hinterfragt und neu gedacht werden, ob vernachlässigte Zielgruppen angesprochen werden, wie hoch der Grad der Glaubwürdigkeit und der Qualität ist etc.
AlphaFoundation: Was verstehen Sie genau unter Qualitätsjournalismus?
Martin Kotynek: Unter anderem die klare Trennung von kommerziellen und redaktionellen Inhalten, die Einhaltung des Pressekodex und ein internes Fehlermanagement. Aber auch die Absicht, die Umsätze mit dem Ziel zu erwirtschaften, den Journalismus zu stärken.
AlphaFoundation: Zur Medienvielfalt trägt wesentlich auch der Lokaljournalismus bei. Er ist wenig lukrativ, da sich die Auflagenzahl auf die Region beschränkt. Wie fördern Sie diesen konkret?
Martin Kotynek: Wir wollen die Lücken füllen, regional und überregional. Es gibt Regionen, in denen ein einziges Medienhaus die Berichterstattung beherrscht, schlimmstenfalls berichtet gar niemand mehr. Die lokale Berichterstattung ist für eine funktionierende Demokratie jedoch enorm wichtig. Wer also mit Ideen kommt und in einer unterinformierten Region ein neuartiges Format anbieten will, rennt bei uns offene Türen ein. Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass wir die gesamte DACH-Region unterstützen, dazu gehört auch die italienisch- und die französischsprachige Schweiz.
AlphaFoundation: Stimmt die Annahme, dass es Nischenangebote generell aufgrund beschränkter Nutzerzahlen schwer haben?
Martin Kotynek: Es gibt durchaus Medien, die auf ein Nischenpublikum setzen und damit erfolgreich sind. Eine solche Strategie braucht zwar Mut, stärkt aber auch die Glaubwürdigkeit.
AlphaFoundation: Können Sie Beispiele nennen?
Martin Kotynek: Ich möchte bewusst keine einzelnen Titel nennen. Erfolgreich sind aber oft jene Verlage, die ihre Zielgruppe, ihre Communities genau kennen. Und es gibt noch einige so genannte underserved Communities, nicht nur die ländlichen Gemeinden. Denken Sie etwa an Migrationsgruppen. Meist wird über sie berichtet, selten aber für sie.
«Es gibt noch einige so genannte `underserved Communities`. Denken Sie etwa an Migrationsgruppen. Meist wird über sie berichtet, selten aber für sie.»
AlphaFoundation: Es herrscht Konsens darüber, dass der unabhängige Journalismus (auch die vierte Gewalt genannt) das Erste ist, was ein Unrechtsstaat abschafft. Warum ist es in vorbildlichen Demokratien wie Österreich, Deutschland und der Schweiz überhaupt möglich, dass der Journalismus gefährdet ist?
Martin Kotynek: Die Transformation vom Printmodell in die digitalen Medien, ein sich veränderndes Nutzungsverhalten, Sparprogramme bei gleichzeitig personalintensivem Geschäft: all dies schwächt den Journalismus. In den USA gibt es bereits diese Nachrichtenwüsten, bei uns sind sie zu befürchten. Aber: Es ist nicht zu spät, in den DACH-Ländern können wir jetzt etwas dagegen tun.
AlphaFoundation: Die Medienbranche hat ein strukturelles Problem. Haben Medien auch selbst dazu beigetragen?
Martin Kotynek: Jedenfalls nicht jene Medien, die sich nach ihren Zielgruppen ausrichten, die den Mut haben, neue Themenfelder zu öffnen, Formate weiterzuentwickeln, auf neue Nutzungsgewohnheiten einzugehen, und die auf Qualität setzen.
AlphaFoundation: Wie lange wird es dauern, bis Ihre Vision umgesetzt ist und es den Media Forward Fund nicht mehr braucht?
Martin Kotynek: Das ist schwer zu sagen. Wir stecken jetzt in der Akutphase, je eher und entschlossener wir gemeinsam handeln, desto eher erreichen wir unser Ziel.
Martin Kotynek war während sechs Jahren Chefredakteur der österreichischen Tageszeitung «Der Standard», bevor er die Aufgabe als Geschäftsführer des Media Forward Fund antrat. Davor war er stellvertretender Chefredakteur von «ZEIT Online». Seine journalistische Karriere begann bei der «Süddeutschen Zeitung», wo er 2010 den Puk-Journalistenpreis des Deutschen Kulturrates gewann. 2013 erhielt er für einen Beitrag in der ZEIT den Medienethik-Award.
Der Media Forward Fund fördert die Medienvielfalt in Deutschland, Österreich und der Schweiz (DACH-Region) mit dem Ziel, mehr Qualitätsmedien mit tragfähigen Geschäftsmodellen zu unterstützen, die starke Inhalte publizieren und sich langfristig nachhaltig finanzieren. Im Fund befinden sich derzeit sechs Millionen Euro. Die Initiantinnen sind: Schöpflin Stiftung, Stiftung Mercator Schweiz, Volkart Stiftung, Rudolf Augstein Stiftung, ZEIT STIFTUNG BUCERIUS, Stiftung für Medienvielfalt, ERSTE Stiftung, DATUM-STIFTUNG für Journalismus und Demokratie, der Impact Investor Karma Capital und Publix – Haus für Journalismus & Öffentlichkeit.
Das Volumen soll noch wachsen. Die Initiantinnen und Initianten sind im Gespräch mit weiteren Organisationen, welche es sich zur Aufgabe machen, Medienvielfalt, Innovation und Qualitätsjournalismus im DACH-Raum zu unterstützen.