„Die Einzelförderung ist wie ein Tropfen auf den heissen Stein“

Karin Landolt sprach in unserem Namen mit Regula Wolf, Organisationsberaterin und Mitgründerin von Con·Sense Philanthropy Consulting, über den Nutzen von Einzel- versus Organisationsförderung.

AlphaFoundation: Es heißt, dass immer mehr Stiftungen ihr Geld effektiver eingesetzt sehen, wenn sie professionelle Organisationen unterstützen statt Einzelpersonen. Stimmt dieser Eindruck?

Regula Wolf: Zunächst einmal würde ich gerne kurz die Begriffe «Organisation» und «Einzelperson» definieren. Wir sprechen hier von juristischen und nicht-juristischen Personen. Die juristischen müssen Jahresberichte abliefern, sind in der Regel organisiert und verfügen über Fachwissen und Knowhow, während nicht-juristische Personen nur punktuell um einen individuellen Beitrag ersuchen. Ja, der Eindruck stimmt. Und diese Entwicklung ist nicht neu.

AlphaFoundation: Und stimmt es, dass die Wirkung bei Organisationen tatsächlich grösser ist? Oder wird sie dort einfach systematischer gemessen, im Gegensatz zu den Einzelfällen?

Regula Wolf: Natürlich lässt sich die Wirkung bei Beiträgen an Einzelpersonen weniger gut messen. Und ich glaube, dass Beiträge an Einzelpersonen zwar in Ergänzung sehr sinnvoll sein können, generell aber wenig nachhaltigen Impact bringen. 

AlphaFoundation: Wenn einer Person dank eines Ausbildungsbeitrags eine gute berufliche Grundlage geschaffen wird, kann das doch eine enorm positive Auswirkung für sie haben?

Regula Wolf: Da widerspreche ich selbstverständlich nicht. Die Frage ist aber, warum hier eine Stiftung einspringen muss? Wäre dies nicht Aufgabe unseres Bildungs- oder Sozialsystems, das Stipendien spricht? Für Stiftungen wäre es doch eine interessantere und nachhaltigere Aufgabe, darauf hinzuwirken, dass ein Sozialsystem die richtigen Leute unterstützt, und dass sie Förderlücken, meist in Ergänzung zu staatlichen Leistungen, schließen können.

AlphaFoundation: Das müssen Sie erläutern.

Regula Wolf: Gerne. Ich begleite gerade eine große Stiftung, die sich mit ihrer neuen wirkungsorientierten Förderstrategie von der Unterstützung einzelner Armutsbetroffener entfernt. Stattdessen überlegt sie sich, was sie anstelle von punktueller Ursachenbekämpfung tun kann, um nachhaltige Verbesserungen herbeizuführen. Nehmen wir die Ergänzungsleistungen: Viele Armutsbetroffene beziehen sie nicht, weil es Hürden gibt, oder weil ihnen das Wissen fehlt. Das Fazit: Es braucht eine Übersetzungsleistung, Instrumente, welche bürokratische Hemmschwellen senken, die sprachliche Barrieren abbauen. Damit erzielt die Stiftung eine Hebelwirkung, weil sie ein ganzes System verbessert und das Problem an der Wurzel anpackt. Einzelne Menschen zu unterstützen ist im Vergleich dazu wie ein Tropfen auf den heissen Stein. 

AlphaFoundation: Verstehe ich also richtig, dass es keine gesellschaftlichen Konsequenzen (sprich abnehmende Solidarität mit dem Einzelnen) hat, wenn Stiftungen nicht mehr auf Gesuche von Einzelpersonen eintreten? 

Regula Wolf: Wir müssen es differenziert anschauen. Fördern wir Organisationen, welche die Ursachen der Probleme angehen, so führt das zu weniger Symptombekämpfung und mehr systemischer Verbesserung, die auch dem oder der Einzelnen hilft. Natürlich ist es nicht verkehrt, wenn eine große Stiftung im Rahmen ihrer Möglichkeiten beides tun und neben dem systemischen Ansatz auch Einzelne fördern kann.

AlphaFoundation: Bleiben wir noch bei den Einzelgesuchen. Welche Kriterien sollte eine Stiftung bei Vergaben beachten, um dennoch etwas zu bewirken?

Regula Wolf: Bleiben wir beim Thema «Armut»: Trifft das eingegangene Gesuch den Stiftungszweck – was eine Grundvoraussetzung ist – muss es verschiedene Förderkriterien erfüllen. Um diese zu erstellen, können Statistiken oder Studien, beispielsweise von der Caritas, der SKOS*, dem Bundesamt für Statistik oder dem Bundesamt für Sozialversicherung beigezogen werden. Auf dieser evidenzbasierten Grundlage lässt sich sauber herausarbeiten, welche Personen am stärksten von Armut betroffen sind, und wo der Förderhebel angesetzt werden kann. Früher wurde oft nach Bauchgefühl entschieden.  

AlphaFoundation: Ein Rechenschaftsbericht durch die unterstützte Person wäre übertrieben?

Regula Wolf: Das kommt auf den Einzelfall und vor allem auf die Höhe des Beitrages an. Bei kleinen Beiträgen, sagen wir CHF 1000.-, wäre es komplett übertrieben, einen 20-seitigen Bericht zu verfassen. Ein einseitiges Feedbackformular wäre der Person aber zuzumuten. Dabei geht es nicht in erster Linie um Kontrolle, sondern auch um ein Learning, das die Stiftung daraus ziehen kann: Haben wir etwas bewirkt? Haben wir im Leben dieser Person einen wirksamen Unterschied gemacht? Für eine angemessene Evaluation ist gesunder Menschenverstand gefragt. 

Je mehr Geld fließt, desto eher sollten Zielvereinbarungen getroffen werden. Bei großen Beiträgen, vielleicht ab CHF 5000.-, empfehle ich, juristische Personen, sprich: NGOs und andere Organisationen anstatt Einzelpersonen zu unterstützen.

AlphaFoundation: Weil diese professioneller vorgehen?

Regula Wolf: Darum geht es nicht in erster Linie. Auch Organisationen können unprofessionell sein. Und individuelle Gesuchstellerinnen können umgekehrt sehr versiert sein. Aber Organisationen unterliegen Pflichten, müssen Standards einhalten, betreiben in der Regel eine informative Homepage, stellen Budgets zusammen, beschäftigen Fachpersonal und so weiter. Dies bildet meist eine Vertrauensgrundlage, insbesondere wenn sie seit längerer Zeit bestehen.

AlphaFoundation: Und sie beschäftigen oft professionelle Fundraiserinnen oder Fundraiser. Sie werden fürs Geldorganisieren bezahlt und bringen weniger Herzblut ein als Leute, welche beispielsweise die NGO aufgebaut haben. Ist hier nicht Skepsis angebracht?

Regula Wolf: Wir wissen alle, dass das Fundraising sehr zeitraubend ist, und diese Zeit fehlt den NGOs oft. Zeitaufwändig ist es übrigens oft deshalb, weil Stiftungen hohe Anforderungen stellen und seitenweise Auskunft und Dokumente verlangen, bevor sie Gelder sprechen. Nein, ich glaube solche Fundraiserinnen und Fundraiser können sehr wertvoll sein. Und sind wir ehrlich: Allein um diesen Job auszuführen, braucht es doch schon sehr viel Herzblut.

AlphaFoundation: NGOs beklagen oft, dass Stiftungen lieber (sichtbare) Projekte unterstützen, und nicht den eigentlichen Betrieb im Hintergrund – den es jedoch braucht, um Projekte zu realisieren. Die Organisationen müssen Projekte «erfinden», um den Betrieb zu sichern.

Regula Wolf:  Der Trend dreht langsam in die andere Richtung. Immer mehr Stiftungen haben dieses Problem erkannt und übernehmen zunehmend langjährige Organisationsförderung (also Betriebskosten, Fundraisingarbeit und Angebotserstellung) mit dem Ziel, dass die Organisation bestmögliche Arbeit leistet und ihre Wirkungsziele erreicht. Wichtig ist aber, dass die Geldgeber auch den Ausstieg aus dieser Förderung planen, sodass der Betrieb nach einigen Jahren mit weiteren Mitteln gesichert bleibt. Damit übernehmen sie auch mehr Verantwortung. Es gibt eine wachsende Zahl an Stiftungen mit ganzen Förderprogrammen: Hier werden nach sorgfältiger Auslegeordnung gezielt aufeinander abgestimmte Fördermaßnahmen entwickelt, die in ihrer Gesamtheit zu einer nachhaltigen Wirkung beitragen. 

AlphaFoundation: Welche Trends sehen Sie sonst noch bei den Förderstrategien?  

Regula Wolf: Immer mehr Stiftungen setzen Förderschwerpunkte. Um beim Thema «Alter» zu bleiben: Sie fokussieren auf Teilbereiche, wie etwa Altersarmut, einsame alte Menschen, Wohnen im Alter etc. Viele Stiftungen setzen stark auf die Nachhaltigkeit in jeder Hinsicht, insbesondere auch auf faire Arbeitsbedingungen. Und wir stellen fest, dass sich viele vom Konzept der Preisvergaben – auch eine Form der Einzelförderung – verabschieden. Davon profitiert meist nur eine einzige Person. Und der Aufwand ist viel zu gross im Verhältnis zur Wirkung, die erzielt werden soll.

*Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe 


Con·Sense Philanthropy Consulting begleitet Förder- und Nonprofit-Organisationen mit interdisziplinären Kompetenzen aus den Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft, Sozialunternehmertum und Arbeitspsychologie. Insbesondere Strategieentwicklung, Bedarfsanalyse, Wirkungsmessung sowie Trainings und Organisationsentwicklung gehören zur Spezialität des 8-köpfigen Teams, das 2021 als unabhängiges Spin-off des Center for Philanthropy Studies (CEPS) der Universität Basel hervorgegangen ist.

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